Gedichte von Tessa Korber
mit Illustrationen von Irma Stolz
52 Tiere sind in diesem Buch versammelt.
Sie schlafen und träumen.
Jedes Tier auf seine Weise.
Und alle erforschen dabei die unbewusste Seite des Lebens.
ISBN 978-3-00-070760-5 | 24,00 €
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von und mit Tessa Korber und Elmar Tannert
Wohnt sie mit ihren Bildern oder lebt sie in ihnen?
Von den Wänden sehen sie an: ihre längst verstorbenen Hunde,
die Enkel, inzwischen erwachsen, als rosige blonde Kinder,
die Blumen vergangener Sommer, deren Samen auch dieses Jahr blühen.
Draußen im alten Hof wuchern Veilchen, Rosen und Farn,
viel Efeu und alter Holunder, Blauregen, Tannen und Moos.
zwischen Holzstapeln, alten Steinen, verrostenden Stangen und Sand,
Vernachlässigt genug, der Schönheit Chancen zu geben.
Alles zerfällt in Bilder. Als warte es nur auf den Pinsel.
Doch am liebsten malt sie die Vögel.
Am beständigsten fegen die Spatzen durch ihre Hofkulisse.
Eine tschilpende Wolke, die mit sich selber spielt.
Das Bild fängt sie ein an der Schale, wo sie sich im Wasser tummeln.
Die im Unterholz raschelnden Amseln umgibt das kühlere Grün.
Die Rotkehlchen hat sie im Winter auf einem Schneeast gemalt
mit Beeren in dem Ton ihrer leuchtenden Brust.
Draußen posieren sie gerade für ein Sommerbild.
Finken stürzen sich seither auf die hängenden Futterstellen.
Ihre funkelnden Farben verblassen im sirrenden Flug,
doch auf ihrer Leinwand nicht.
Das empörte Käuzchenpaar könnte gut in der Scheune leben
die gegenüber steht, mit dem Wappen auf dem Torbogen
und vom Dachbalken herabstarren, statt vom Titelblatt
der Zeitschrift des Vogelschutzbundes, der einzigen, die sie noch liest.
Ihr gemaltes Gurren hängt, in der Wohnküche wie ein Geheimnis.
Sie sitzt auf ihrem Drehhocker, mit der alten Filzdecke,
noch immer voll Hundehaar, sitzt dort und schaut und malt.
Die Leinwand steht immer bereit, gleich neben dem Bügelbrett.
Sie hat das Bügeln noch als einen Beruf gelernt,
wie so vieles andere auch:
Kühe zu hüten, Samen zu züchten, Kränze zu winden, Rüben zu häckseln,
zu pflügen mit einem Ochsengespann. Und mit dem Pinsel den Punkt
mit sicherer Hand zu setzen, einen einzigen Lichtpunkt, genau
auf das schwarze Vogeltierauge, einen pinselhaarfeinen Punkt
der dem Blick die Seele gibt. Ein Punkt, ich habe ihn,
unter der Lupe betrachtet, aber was heißt das schon.
Die Hand hat ihn sicher gesetzt, und das Leben in jenem Blick
ist nicht mehr zurücknehmbar. So setzt sie auch ihre Tage.
Das Leben nimmt keinen zurück. Sie malt sie, macht alles sichtbar
und lebt im Echo der Bilder.
Auf ihrem Malerstuhl sitzend, wie die Eule in ihrem Gebälk,
umgeben von ihren Werken, wartet sie auf den Moment.
Weil sie auch das Warten gelernt hat. Sie weiß, dass der Augenblick kommt.
Er ist alles, worauf es ankommt. Wenn er da ist, wird sie bereit sein.
Ganz plötzlich wird er im Hof stehen. So wie der Eisvogel mit
seinen herzschlaganhaltenden Farben,
einer Schönheit, die man
nur der Malerin
glaubt.
© 2021 Tessa Korber